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Denise Dollinger, Basler Zeitung vom 4. November 2013
“Die Vögel pfeifen, die Sonne lässt die Herbstbäume in den schönsten Farben erstrahlen und das Laub raschelt, während Christine Odette Meier zusammen mit ihrem Klienten G.M. durch den Wald wandert. An der Seite der beiden läuft hoch konzentriert Baronesse, eine Schweizer Halbblutstute. Sie spürt, wie wichtig es ist, dass sie keinen Fehltritt macht, denn G.M. läuft mit verbundenen Augen und an ihren Hals gestützt nebenher. Der 49-Jährige steckt in einer Lebenskrise. Jahrelang war er beruflich extrem erfolgreich, rackerte sich für seine Firma ab. Dann plötzlich, von einem Tag auf den anderen, ging nichts mehr. G.M. rutschte in ein Burn-out. Nach längerer krankheitsbedingter Abwesenheit ist der Familienvater nun wieder an seinem Arbeitsplatz zurück, doch ermüdet ihn der Alltag schnell. Zudem hat er Angst, erneut zu versagen. Der Personalleiter seiner Firma hat ihm darum geraten, ein Ressourcentraining und Coaching, zur Stabilisierung und Unterstützung der Reintegration, zu machen. Und zwar mit Pferden.
Geritten wird nie
Das pferdegestützte Coaching bietet Christine Odette Meier, in dieser Form in der Schweiz einzigartig, an. Die Idee, die von der ehemaligen Kommunikationsberaterin und Kaderfrau selbst entwickelt wurde, bezieht die kognitive, emotionale und körperliche Ebene gleichermassen mit ein. «Den Multiplikatoreneffekt – Gespräch, Pferd, Bewegung, Natur – sehe ich als Schlüssel zum Erfolg meiner Arbeit», sagt die 53-Jährige. Das spezielle an diesem Coaching sei, dass der Klient nahen Kontakt zum Vierbeiner habe, jedoch während des ganzen Prozesses nie auf dem Tier reite. Eine Coaching-Session, die in der Regel wöchentlich stattfindet und einen halben Tag dauert, startet damit, dass Meier und der Kunde das Pferd auf der Weide holen und dieser den Vierbeiner putzt. Dies, um einen ersten Kontakt herzustellen. «Aus der Art und Weise, wie der Coachee diese Aufgabe anpackt, kann ich schon vieles erkennen», sagt Christine Odette Meier. Coachee, also der «zu Coachende» ist das Wort, das Meier bevorzugt.
Von «Patienten» will sie nicht sprechen. Bei der anschliessenden Wanderung führt der Klient die 650 Kilogramm lebendige Kraft durch die Landschaft. «Das Pferd reagiert dabei instinktiv und spiegelt das Verhalten des Coachee unverfälscht wider. Stärken und Schwächen werden somit durch das Tier unmissverständlich aufgedeckt», erklärt Meier den Effekt. Pferde würden sich nicht um Status, Rang, akademische Titel, Massanzüge oder teure Uhren kümmern, sondern seien wertvolle und nicht wertende Boten, die unmittelbares Feedback geben. Ihre Aufgabe als Coach sei es dann, Fragen zu stellen, Kernthemen herauszuschälen, die Sinne des Klienten für seine eigenen Ressourcen zu schärfen und Tools für anstehende Herausforderungen zu vermitteln. «Coaching ist die hohe Kunst des Fragens», sagt Meier. Bei der Nachbesprechung im Sitzungsraum werden Themen, die bei der Wanderung angesprochen wurden, ausgeleuchtet und vertieft. Zudem gibt es noch eine Hausaufgabe mit auf den Weg. «Das kann zum Beispiel ein Logbuch sein, in welchem der Klient täglich Situationen aufschreiben muss, in denen er sich gestresst fühlt.» Anhand der gestellten Aufgabe wird dann in der nächsten Sitzung weitergearbeitet. Das pferdegestützte Coaching als Potenzialentwicklung, Burn-out-Begleitung und «Vehikel» zur Reintegration am Arbeitsplatz dauert in der Regel drei bis sechs Monate und ist laut Christine Odette Meier, mit einer Quote von 98Prozent, sehr erfolgreich.
«Da ich mit dem Klienten gemeinsam ein Konzept erarbeite, um Lösungen zu finden, und wir viel mit Bildern schaffen, kann sich dieser, auch nach Beendigung des Coaching, immer wieder selber helfen», sagt sie. Die Idee, eine Unterstützung in dieser Form anzubieten, kam der 53-Jährigen vor sieben Jahren. Damals verlor sie ihre Stelle und stürzte in eine Lebenskrise. «Im Dickicht der Coaching-Fülle fand ich nichts, das mich genug angesprochen hat, um mich aus dieser Situation rauszuholen», erinnert sich Meier.
Wagemutiges Experiment
Als sie, die seit ihrer Kindheit reitet, auf dem Rücken des Vollblut-Rennpferds Viking durch den Wald trabte, entwickelte sie diese spezielle Form des pferdegestützten Coaching. Aus dem wagemutigen Experiment wurde ein nachhaltiges Angebot, das unter anderem von Banken, Versicherungen, Chemie, Airlines und in speziellen Fällen auch von der IV-Integrationsstelle genutzt wird. 70 Prozent der Klienten sind männlich. Das Durchschnittsalter liegt bei 45. Meier arbeitet mit Pferden in Oberwil, Biel-Benken und im Jura. «Würden sich die HR-Verantwortlichen rascher an mich wenden, könnte viel persönliches Leid vermieden werden. Denn bei Burn-out ist die ganze Familie betroffen und auch am Arbeitsplatz entstehen massive Lücken», so Meier. Doch nicht nur Menschen, die an einem Burn-out leiden, werden an die Beraterin vermittelt.
So kommen auch Frauen und Männer zu ihr, die eine Führungsfunktion in einem neuen oder schwierigen Team übernehmen müssen. Oder solche, denen wegen Restrukturierung der Arbeitsplatz gekündigt wurde. Die Betroffenen werden während der Standortbestimmung und dem Coaching in ihren Fähigkeiten bestärkt und aufgebaut, damit sie sich wieder selbstsicher und unverkrampft auf den Bewerbungsprozess einlassen können. Meiers Coaching-Angebot wird vornehmlich von Firmen gebucht und ist nicht von der Krankenkasse anerkannt. Doch egal welches Problem die Menschen zu Christine Odette Meier führt, ihr Ziel ist für alle dasselbe: «Meine Kunden sollen das Coaching mit Handlungsszenarien, neuen Impulsen und bestärkt in ihrem individuellen Erfolgspotenzial verlassen. Und somit die Chance kriegen, die Zügel des Lebens wieder selbst in die Hand zu nehmen.»
Zehn Ziele mit dem Pferd als Co-Trainer
1. Mit Neuem in Kontakt kommen und Ängste überwinden
2. Emotionale Ebene aufdecken, zulassen und erfahren
3. Sich selbst wieder spüren und die Wirkung der Körpersprache erfahren
4. Beobachten, handeln und Feedback geben lernen – Optimieren der Kommunikationsfähigkeiten
5. Unbewusstes Verhalten aufdecken: Abgleich Eigenbild – Fremdbild
6. Individuelle Ressourcen aufdecken, fördern und Resilienz stärken
7. Sich abgrenzen, Nein sagen und trotzdem akzeptiert werden
8. Selbstvertrauen stärken und «Chef-Funktion» einnehmen 9. Verankerung Distanzierungsrahmen und relevantes Handwerkszeug
10. Transfer in die Arbeitswelt”